Von Luanda und Maputo nach Ost-Berlin
Erinnerungen afrikanischer Werktätiger an die DDR

- Buch
- Schenck, Marcia C.
- Ch. Links, 2025. - 360 Seiten
Ab Mitte der 1960er-Jahren warb die Deutsche Demokratische Republik (DDR) ausländische Arbeitskräfte aus sozialistischen „Bruderstaaten“ an, die mit zeitlich befristeter Aufenthaltsgenehmigung und ohne wesentliche bürgerliche Anrechte in bestimmten Tätigkeitsbereichen eingesetzt wurden. Kamen die Vertragsarbeiter_innen zunächst vor allem aus Polen bzw. Ungarn und später in großem Ausmaß aus Vietnam, so migrierten in den Jahren 1979/1980 etwa 21.000 Menschen aus Mosambik („Madgermanes“) und 2.500 aus Angola im Rahmen staatlich arrangierter Programme in die DDR: „Dort, so der Gedanke, würden sie einerseits den Arbeitskräftemangel lindern, andererseits aber auch eine Aus- oder Weiterbildung, die sie in ihren Heimatländern würden anwenden können, erhalten. (…) Neben der beruflichen Weiterbildung würde man ihnen sozialistische Ideale vermitteln. Diese Arbeitskräfte sollten nichts Geringeres als die Vorhut des sozialistischen neuen Menschen in Afrika bilden.“
Die Globalhistorikerin Marcia C. Schenck widmet dieser Arbeitsmigration ihre Dissertation und adressiert zentrale Forschungslücken in diesem Themenfeld, indem sie erstmals die ehemaligen Vertragsarbeiter_innen selbst zu Wort kommen lässt. Nicht weniger als 268 in Mosambik und Angola geführte Gespräche stellen die Grundlage der Arbeit dar, in denen die interviewten Personen Erinnerungen teilen und Vergangenes neu erzählen, aber auch Stränge zur Gegenwart schlagen und kontingente Zukunftsperspektiven artikulieren. Schenck collagiert diese „kollektiven Mikrogeschichten“ zu einer zusammenhängenden Erzählung, ihre Ordnung aus fünf Hauptkapiteln folgt dabei gegensätzlichen Begriffspaaren (etwa Arbeit und Konsum, Staat und Individuum), welche die Widersprüchlichkeiten und Gegensätze sowohl in den einzelnen Biografien, als auch im Feld sozialistischer Arbeitsmigration selbst markieren. Zur Sprache kommen in diesen Interviews Motivationen und Erwartungen der Vertragsarbeiter_innen, diese vertrauen der Autorin Hoffnungen, Rückschläge und ideologische Überzeugungen an, erzählen vom materiellen Leben in der Fremde, korrigieren offizielle Narrative der DDR um ausgeklammerte Aspekte wie Streiks und Alltagsrassismus im Realsozialismus, erinnern sich an Beziehungen zu und mit ostdeutschen Personen und rufen die eigene Jugend durch Erinnerungen an Abende in Diskotheken wach. Ebenso teilen sie bittere Verlusterfahrungen, denn mit der Rückkehr in die Herkunftsländer materialisierten sich enttäuschte Hoffnungen, ihre Heimatländer befanden sich in schwierigen Transformationsprozessen, vom versprochenen Lohn sahen die Arbeiter_innen oft nur einen Teil und freundschaftliche Bindungen aus der DDR rissen plötzlich ab. Nichtsdestotrotz werden in zahlreichen Gesprächen Momente der „(N)Ostalgie“ geäußert und sozialistische Vergangenheiten neu konstruiert.
Schencks Monografie zu Arbeitsmigration aus Mosambik und Angola in die DDR ist somit weit mehr als eine Abhandlung über technische Zusammenarbeit, Diplomatie oder sozialistische „Völkerfreundschaft“ unter paternalistischem Vorzeichen. Ihre Oral History-Arbeit gibt hingegen Einblicke in Erinnerungslandschaften und Räume zwischen „Zweiter und Dritter Welt“, wie sie nur aus transnationaler Perspektive möglich sind. Gleichzeitig betont Schenck die Handlungsmacht von vielfach marginalisierten Subjekten wie eben den Vertragsarbeiter_innen und wendet sich gegen die „allzu leichtfertige Einordnung des Kontinents [Afrika] als passives Opfer der Geopolitik des Kalten Krieges“. Nicht zuletzt schreibt „Von Luanda und Maputo nach Ost-Berlin“ freilich eine alternative Globalisierungsgeschichte, die nicht teleologisch und linear arbeitet, sondern Globalisierungen als pluralistisches Neben-, aber auch Gegeneinander von einer Vielzahl an Prozessen in unterschiedlichen Maßstäben fasst und scheinbar periphere Regionen ins Zentrum zu rücken vermag: „Entsprechend konnte hier gezeigt werden, wie Arbeitsmigranten im Großen wie im Kleinen, aufgrund struktureller Faktoren ebenso wie spontaner Initiativen, Annäherungen zwischen entlegenen Teilen der sozialistischen Welt bewirkt haben.“