Postkolonialer Partner?
Die deutsch-togoischen Beziehungen 1960-1993
- Buch
- Seefelder, Stefan
- 2025, Wallstein. - 354 Seiten
Von 1884 bis 1914 war Togo dreißig Jahre lang unter dem Namen „Deutsch-Togo“ eine Kolonie des deutschen Reiches. Obwohl das Land danach zwei Generationen lang – bis zur Unabhängigkeit 1960 – unter französischem Einfluss stand, war es besonders die Bundesrepublik Deutschland, die den selbstständigen Staat Togo als wichtiges Zielland ihrer gerade im Entstehen begriffenen Entwicklungspolitik ausmachte. Neben wirtschaftlichen Interessen waren vor allem sicherheitspolitische Überlegungen wie antikommunistische Abwehrreflexe wesentliche Antriebe dieses neuen Politikfeldes, das sich in einem regelrechten „Boom (…) genuiner Entwicklungsprojekte“ niederschlug. Zugute kam der BRD dabei, dass Togo die wirtschaftlichen Beziehungen zur ehemaligen Metropole Frankreich auf ein Minium reduzierte: „Damit eröffnete sich für die Bundesrepublik die Möglichkeit, in dieses außenpolitische Vakuum vorzustoßen und durch die großzügige Vergabe von Entwicklungshilfen politisches Kapital zu erlangen.“ Der Historiker Stefan Seefelder interessiert sich in der veröffentlichten Dissertation für die deutsch-togoischen Beziehungen im Zeitraum von der Unabhängigkeit 1960 bis zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen nach Gewaltausschreitungen in Togo 1993 durch Deutschland. Auf Grundlage extensiver Archivrecherchen in Europa und Westafrika zeichnet er Konjunkturen, Motivlagen und komplexe Akteurskonstellationen nach und adressiert nachhaltig eine bestehende Forschungslücke sowohl zu den deutsch-togoischen Beziehungen an sich als auch exemplarisch zur bundesdeutschen entwicklungspolitischen Theorie und Praxis unter dem Vorzeichen von Dekolonisierung und Kaltem Krieg. Anschaulich zeigt Seefelder auf, wie kolonialrevisionistische Narrative der „Musterkolonie“ bzw. parallel – und widersprüchlich – auch der „kolonialen Unbelastetheit“ zur Argumentation einer besonderen „Verbundenheit“ zwischen Deutschland und Togo instrumentalisiert wurden, wie sich die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit institutionalisierte und welche unterschiedlichen Vorstellungen die Projektpartner hatten. Dabei unternimmt der Historiker auch eine grobe Periodisierung: Während er für die 1960er-Jahre noch bilaterale Planungseuphorie unter dem Eindruck der formellen Dekolonisierung erkennt, konstatiert er spätestens im Laufe der 1970er-Jahre einen deutlichen Wandel entwicklungspolitischer Perspektiven, die zunehmende Bedeutung des Multilateralismus sowie die langsame Herausbildung eines menschenrechtsorientierten Zugangs. Die 1980er-Jahre fasst Seefelder gar als „lost decade“, in welcher der westafrikanische Staat mit den Folgen der Strukturanpassungsprogramme stark zu kämpfen hatte und in der Deutschland das Interesse an Togo bereits weitgehend verloren hatte. Dies eröffnete freilich parastaatlichen Akteuren wie der CSU-nahen Hanns Seidel-Stiftung (bzw. auch dem bayrischen Ministerpräsidenten Strauß selbst) Spielräume, um an der offiziellen Außenpolitik vorbei spezifische Interessen zu verfolgen. Diese Wandlungen in den Beziehungen zwischen Togo und Deutschland eignen sich dazu, globale Transformationsprozesse, Kontinuitäten und Brüche exemplarisch zu analysieren: „Wie die vorgestellten bundesdeutschen Entwicklungsprojekte als analytische Sonden des steten Wandels auf lokaler und nationaler Ebene dienten, sind die deutsch-togoischen Beziehungen im Allgemeinen als Gradmesser der globalen Entwicklungen zu betrachten, die von der Neudefinition der bundesdeutschen Außenpolitik in den 1950er Jahren über den Ost-West-Konflikt, den wirtschaftlichen Wandel durch die Globalisierung bis hin zur allgemeinen gesellschaftspolitischen Koordinatenverschiebung nach 1968 und dem Ende des bilateralen Primats im Umgang mit den afrikanischen Staaten reichen.“ Wie Seefelder abschließend betont, dürfe dies jedoch nicht dazu verleiten, Eigensinn und agency togoischer Akteure zugunsten globaler Kategorisierungen zu marginalisieren. Beispielhaft zeige sich das an der deutschen Kolonialvergangenheit, die situativ positiv oder negativ angerufen werden könne.