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Mythen der Geografie


Acht Irrtümer über die Welt, in der wir leben

Cover des Buches
  • Buch
  • Richardson, Paul
  • Piper, 2025. - 320 Seiten

Der Humangeograf Paul Richardson nimmt seine Leser_innen eingangs mit zurück in eine Zeit, in der an den Rändern von Weltkarten Drachen und Seeungeheuer lauerten und ferne Territorien von mysteriösen Fantasiewesen bewohnt schienen. Fortschritte in der Kartografie und Navigation führten jedoch dazu, dass diese Darstellung immer akkurater wurden und mystische Bewohner_innen ab dem Ende des 17. Jahrhunderts nicht mehr in Atlanten und Seekarten zu finden waren. Doch sollte man ohnehin nicht zu hart ins Gericht gehen mit solchen Darstellungen, warnt Richardson davor, uns heute allzu überlegen zu fühlen: „Denn wer garantiert uns, dass unser heutiges Weltbild nicht genauso von Mythen geprägt ist wie das damalige? Und dass uns die Karten uns Systeme, die wir heute benutzen, um uns in der Welt zurechtzufinden, nicht genauso in die Irre führen?“ Der Autor widmet sich im vorliegenden Band acht konkreten Mythen bzw. „imaginären Geografien“, die unser Weltbild so nachhaltig geprägt haben, dass sie kaum hinterfragt werden, sich in weitreichenden Handlungen manifestieren und essentialistische Fehlschlüsse nahelegen. Dabei beschäftigt er sich etwa mit sozialen Konstruktionen wie Grenzen oder Nationen, zerlegt gängige Ordnungsvorstellungen einer Welt mit 5-7 Kontinenten in neue Einzelteile und entlarvt die Messbarkeit von Wachstum als Mythos. Stets argumentiert er anschaulich und mit einer Fülle an zeitgenössischen wie historischen Beispielen, etwa dem Grenzgebiet zwischen Mexiko und den USA, der Kiewer Rus als identitätsstiftender Epoche oder alternativen Wohlstandsindikatoren wie Bhutans Bruttonationalglück. Die letzten drei Kapitel widmet Richardson Großregionen, die vom Westen historisch missverstanden seien. Hier beschäftigt er sich etwa mit Russlands vermeintlichem Expansionsdrang, den er eher als gekränkten Revanchismus Putins vor den Schablonen imaginärer Geografien kennzeichnet. Im Zusammenhang mit Chinas Neuer Seidenstraße warnt der Autor vor reduktionistischen Narrativen einer rein geopolitischen motivierten Infrastrukturinitiative und streicht stattdessen die widersprüchlichen Interessen und Zielkonflikte heraus, die diesem Programm innewohnen. Zuletzt dekonstruiert Richardson den „Mythos vom unweigerlichen Scheitern Afrikas“, entlarvt koloniale Stereotype und imperiale Nostalgie, denen er Perspektiven postkolonialer Vielfalt und Selbstbestimmtheit sowie gleichberechtigter Zusammenarbeit gegenüberstellt. Deutlich macht der Humangeograf, dass die Auseinandersetzung mit Weltbildern und ihren Implikationen keine bloße Denkübung darstellt, sondern diese Vorstellungen bedeutsame Auswirkungen auf die Gestaltung unserer Zukunft haben können: „Um uns den globalen Problemen, mit denen wir uns derzeit konfrontiert sehen, stellen zu können, müssen wir uns von den geografischen Mythen, die wir uns selbst aufgebürdet haben, befreien. Wir müssen neue Möglichkeiten ersinnen, Veränderungen zu bewältigen, sowie umfassendere Methoden, Fortschritt zu messen und Vertrauen aufzubauen.