Globaler Süden
Entwicklungspolitik und Erinnerung in einer postkolonialen Welt
- Buch
- Daniel Sidler et al. (Hrsg.)
- 2025, Wochenschau. - 423 Seiten
Das Verständnis für komplexe Zusammenhänge einer globalisierten Welt, in der Gesellschaften durch soziale, wirtschaftliche und politische Verflechtungen, asymmetrische Machtbeziehungen und Ungleichheiten geprägt sind, stellt für den Geschichtsunterricht ein maßgebliches Anliegen dar. Dabei kann die Vermittlung globaler Entwicklung inhaltlich herausfordernd sein, lässt sich die Materie doch nur schwer in lineare Abläufe und klare Positionen strukturieren, sondern weist ideologische Divergenzen, Widersprüche und ein breites Set an handelnden Akteur_innen auf. Der vorliegende Band aus der Reihe „Fundus – Quellen für den Geschichtsunterricht“ adressiert den Globalen Süden unter dem Zusatz „Entwicklungspolitik und Erinnerung in einer postkolonialen Welt“ und bereitet dieses Thema mit anschaulichem Quellenmaterial und kontextualisierenden Texten auf. Hierfür werden zunächst im ersten Abschnitt zentrale Diskurse und Terminologien vorgestellt und kritisch diskutiert, etwa „Entwicklung“ oder Fremd- als auch Selbstzuschreibungen wie „Dritte Welt“. Dies geschieht anhand von heterogenen Textquellen, etwa Frantz Fanons „Die Verdammten dieser Erde“ (1961), Chandra Talpade Mohantys „Under Western Eyes“ (1984), der „Nairobi Speech“ (1973) von Weltbank-Präsidenten Robert McNamara oder Texten rezenter Vertreter_innen des Postkolonialismus wie Fabien Eboussi Boulaga mit „Wenn wir den Begriff der Entwicklung akzeptieren, sind wir verloren“ (2010). Deutlich wird dabei die Vielfalt und Ambivalenz möglicher Konzeptionen, Konjunkturen verschiedener Strömungen sowie die semantische Konnotation der Begrifflichkeiten, die nicht wertfrei produziert als auch rezipiert werden können. In den folgenden drei Kapiteln stehen Beziehungen, Interaktionen und Interventionen zwischen dem Globalen Süden und Norden auf dem Programm: Anhand der blockfreien Staaten, der Gruppe der 77, der OPEC und des kubanischen Internationalismus in Angola als frühes Beispiel der Süd-Süd-Kooperation wird etwa gezeigt, wie sich der Globale Süden bzw. Länder im Globalen Süden als Akteure organisier(t)en und welche konkreten Auswirkungen diese Allianzen hatten. Anschließend steht die Entwicklungszusammenarbeit als durchaus hierarchische Formation der Nord-Süd-Beziehungen im Vordergrund, wobei unterschiedliche Zugänge, Praktiken und Akteur_innen behandelt werden. Beispielhaft sind dies die deutsche Entwicklungspolitik (sowohl der BRD als auch der DDR), die multilaterale Architektur der Entwicklungszusammenarbeit sowie das spezifische Thema der Stipendienprogramme und Bildungstransfers. Das vierte Kapitel konzentriert sich auf nicht-staatliche Akteur_innen, die im Bereich der globalen Zusammenarbeit tätig sind bzw. deren Handeln Auswirkungen auf Nord-Süd-Beziehungen hat. Konkret werden die Bedeutung christlicher Kirchen, zivilgesellschaftlicher Solidaritätsbewegungen als auch multinationaler Großkonzerne verhandelt. Den Schluss bildet das Kapitel „Erinnerungskämpfe und Erinnerungspolitik“ und fokussiert dabei auf die Verarbeitung kolonialer Vergangenheit bzw. insbesondere die Beziehungen junger postkolonialer Staaten zu den ehemaligen Kolonialmächten. Während zunächst „Fragen des Erinnerns, Versöhnens und Restituierens“ adressiert werden, illustrieren mit Algerien und Frankreich bzw. Deutschland und Namibia anschließend zwei Fallbeispiele die aktuellen Auseinandersetzungen und Entwicklungen. Mit einem akteurszentrierten Ansatz und auf Basis multiperspektivischen Quellenmaterials (Zeitungsberichte, Resolutionen, Reden, autobiografische Texte, Briefkorrespondenzen) gelingt dem Band eine anschauliche Vermittlung der Materie, ohne gängige Vereinfachungen und stereotype Muster der Entwicklungspolitik zu reproduzieren. Ganz im Gegenteil werden Begrifflichkeiten kritisch dekonstruiert, Periodisierungen problematisiert und Interessen der jeweils behandelten Akteur_innen kenntlich gemacht. Dadurch bietet „Globaler Süden“ hilfreiche Impulse für einen quellenorientierten Geschichtsunterricht und knüpft nahtlos an den zuletzt erschienenen Fundus-Band „Dekolonisation 1945-1975“ an.