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Für kurze Zeit nur hier


Cover des Buches
  • Buch
  • Ospina Pizano, María
  • Unionsverlag, 2025. - 195 Seiten

Verlassene Hündinnen, ein scharlachroter Zugvogel auf der Reise in den Süden, ein unscheinbarer Käfer auf dem Rücken, das aus dem Bauch der toten Mutter gerettete Stachelschweinbaby. Das Figurenensemble in María Ospina Pizanos Roman „Für kurze Zeit nur hier“ besteht aus Tieren, fallweise ergänzt durch den Kontakt mit Menschen. Was auf den ersten Blick nicht unkonventionell klingen mag – intuitiv könnte man ein Kinderbuch, moralisch angereicherte Fabeln oder anthropomorphe Satire erwarten – stellt sich bereits nach den ersten Seiten als ungewöhnliche Leseerfahrung heraus. Unaufdringlich, zugleich empathisch folgt die kolumbianische Autorin den Wesen bei alltäglichen Handlungen, nähert sich deren Logiken an und wägt Wahrscheinlichkeiten ihres Verhaltens ab.

Die Schauplätze verteilen sich dabei auf den amerikanischen Doppelkontinent: Manhattan, Mexiko und wiederholt Kolumbien sind die Arenen, in denen Ospina Pinoza die Schauspiele der Natur zur Aufführung bringt und die einzelnen Handlungsstränge klug miteinander vernetzt. Spürbar wird dabei die Kontingenz und Verwobenheit der Welt und ihrer Bewohner_innen, auch Mensch-Natur-Verhältnisse und planetare Krisen des neuen Erdzeitalters werden verhandelt, ohne anthropozentrisch zu verlaufen: In „Für kurze Zeit nur hier“ ist die Natur der Protagonist und der Mensch lediglich eines unter vielen Lebewesen, das Verhältnis zwischen Mensch und Tier wiederum wird nicht sentimentalisiert, sondern als Teil eines fragilen ökologischen und sozialen Gleichgewichts begriffen. Dadurch ist Ospina Pinzoas Prosa auch im Kontext indigener Kosmologien des Globalen Südens zu lesen und weist Anschlussfähigkeit zu Konzepten wie Buen Vivir auf, lässt sich aber ebenfalls für das philosophische Interesse an Weltbeziehung und Entfremdung fruchtbar machen. Ganz abseits dieser abstrakten Exkursmaterie aber ist der vorliegende Debütroman vor allem ein literarisches Kleinod, das eine zärtlich-aufmerksame Poetik der Resonanz entwirft: „So oder so rührt es sie, diese Chiffre der großen Kontinentalreisen unmittelbar vor sich zu sehen, die Zeugnis von der souveränen Ungebundenheit jener Weltenwanderer ablegt. Sie weiß, dass sie übertreibt, aber der Gedanke, dass der Scharlachkardinal nicht zufällig gerade auf ihrem Balkon gelandet ist, gefällt ihr, schließlich sind sie beide Weltenwanderer. Auch wenn die eine im Süden und der andere im Norden geboren ist, und seine Reisen anderen Strömungen folgen und viel mehr Zwischenhalte erfordern. Gerne würde sie jedoch behaupten, dass das ständige Hin und Her und die Liebe zur intensiven Sonne, die es im Winter des Nordens nicht gibt, die eigentliche Verbindung darstellen. Dass dadurch Übereinstimmung, ja geradezu Gleichklang zwischen ihnen entsteht.