Direkt zum Inhalt wechseln

Der Rest und der Westen


Kapital und Macht in einer multipolaren Welt

Cover des Buches
  • Buch
  • Mezzadra, Sandro u.a.
  • 2025, Dietz Berlin. - 304 Seiten

Die Welt steckt inmitten multipler Krisen: anti-demokratische Strömungen und globale Kriege nehmen zu, Technologie-Konzerne werden zunehmend zu politisch und sozial relevanten Akteur_innen. Schlagwörter wie neue Weltordnung, Weltunordnung oder Zeitenwende prägen öffentliche Diskurse, um die globalen Verwerfungen und Machtverschiebungen zu akzentuieren bzw. über eine neue internationale Ordnung zu sprechen, in der der „Westen“ nicht mehr hegemoniale Wirkung hat. Vielmehr wird der „Westen“ in seiner Deutungs- und Handlungshoheit von dynamischen und teilweise undurchsichtigen Akteur*innen- und Interessenskonstellationen verdrängt. In Umkehrung eines bekannten Diktums des Soziologen Stuart Hall beschäftigen sich Sandro Mezzadra und Brett Neilson mit dem „Rest“ und dem „Westen“ in ebendieser Reihenfolge entlang der Leitaspekte einer zentrifugalen Multipolarität bzw. eines Multipolarismus: „Multipolarität ist für uns weder ein politisches Schlagwort noch ein Ideal. Es handelt sich vielmehr um einen Begriff, der uns dabei hilft, die gewaltigen Verschiebungen in der Verteilung von Macht und Wohlstand zu beschreiben, die die gegenwärtige Gestalt der Welt charakterisieren.“ Dabei sehen die beiden Wissenschaftler, die bereits mehrfach gemeinsam als Autoren in Erscheinung getreten sind, einen „offenen Übergang“: Die konkrete Ausgestaltung der multipolaren Welt sei diffus und könne sowohl neue Imperialismen und eine Vielzahl an Kriegen hervorbringen, als sich auch in Richtung einer besseren Verteilung von Macht und Wohlstand bewegen. In diesen Analysen sind wesentliche Bezugnahmen auf Antonio Gramscis Begriff des „Interregnum“ als auch auf Karl Polanyis „Great Transformation“ erkennbar, wenngleich Mezzadra und Neilson explizit die Einzigartigkeit der gegenwärtigen Herausforderungen herausstreichen und die Grenzen historischer Analogien betonen. Sie konstatieren etwa die endgültige Entkoppelung von Kapital und Territorien, fokussieren auf die unzähligen Verflechtungsprozesse der kapitalistischen Welt und ergänzen ihre Analysen um Dynamiken sozialer Mobilisierung und des Klassenkampfes. Dabei trachten sie auch danach, ein Verständnis von Globalisierung zu überwinden, „das sich einseitig auf Handelsströme und den relativen Grad der Offenheit oder Geschlossenheit nationaler Volkswirtschaften konzentriert.“ Mezzadra und Neilson analysieren die Entwicklungen des modernen Kapitalismus anhand von Produktion, Arbeit, Kriegsregimen und Gegenkämpfen. Behandelt werden etwa intersektionale Perspektiven in ihrer Bedeutung für Mobilisierung und Produktivität, Logiken des Extraktivismus, der Aufstieg des Plattformkapitalismus oder emanzipatorische Bewegungen in Lateinamerika. Mit ihrer kritischen Analyse zur gegenwärtigen Lage der Welt wollen sie ein „radikales Denkzeichen“ setzen. Das gelingt in akademisch-sachlicher Sprache, setzt aber wegen der Komplexität des Themas Vorwissen zu politischer Ökonomie voraus und eignet sich daher insbesondere für Studierende und Forschende mit Vorkenntnissen etwa zu marxistischer Theoriebildung oder internationalen Beziehungen.