Aufzeichnungen eines Krokodils

Qiu Miaojins Debütroman „Aufzeichnungen eines Krokodils“, 1994 in Taiwan veröffentlicht, ist mittlerweile ein moderner Klassiker der LGBTIQ-Community Taiwans. Die Protagonistin Lazi, eine lesbische Studentin an einer Elite-Universität in Taipeh, navigiert durch die damals stark marginalisierte Welt der Homosexualität im Taiwan der späten 1980er Jahre.
Lazi verliebt sich in die ältere Studentin Shuiling. Im Verlauf der Geschichte entwickelt sich eine innige, sinnlich beschriebene Beziehung zwischen ihnen. Doch beide Figuren kämpfen nicht nur mit den rigiden Anforderungen einer kapitalistisch geprägten Gesellschaft, sondern auch mit internalisierter Homophobie – „Ich akzeptierte mich nicht. Es gab kein Gegengift gegen mein Selbst. […] Die gesamte Menschheit hatte Gift für mich ausgelegt“ (S. 170). Verfolgt vom Hadern des eigenen Begehrens, von Selbstzweifeln und Suizidgedanken trennt sich Lazi mehrmals von Shuiling, bis sie wieder zusammenfinden. Wie ein Krokodil, das sich mit Kleidern tarnt und sich unter die Menschen mischt, passt sich auch Lazi an, um den heteronormativen Identitätsschablonen zu entsprechen. Im Verlaufe der Geschichte entpuppt sich das Krokodil als Lazis Alter Ego – geschlechtlich uneindeutig, scheu und vom Aussterben bedroht.

Mit bildhafter Sprache, Witz und tiefgründigen Emotionen schafft die Autorin eine Balance zwischen persönlicher Identitätssuche und feinsinniger Gesellschaftskritik. Qiu Miaojin erlebte den langfristigen Erfolg ihres Werkes nicht, da sie sich ein Jahr nach der Veröffentlichung in Paris das Leben nahm. Vielleicht spiegelt sich ja ihre eigene emotionale Not in Lazis Erzählung wider.
Dieser Roman ist ein Muss für alle, die ein tiefes Verständnis für die Kämpfe queerer Menschen in einer feindlichen Umgebung gewinnen möchten. Qiu Miaojins Werk ist nicht nur ein literarisches Meisterwerk, sondern auch ein wichtiges historisches Dokument für die LGBTIQ-Community in Taiwan und darüber hinaus.