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Diese brennende Leere


Cover des Buches
  • Buch
  • Comensal, Jorge
  • Rowohlt, 2025. - 416 Seiten

Mexico-Stadt im Jahr 2030: Eine gigantische Feuersbrunst rafft ein ganzes Stadtviertel samt Friedhof und Zoo hinweg, die chinesische Panda-Diplomatie springt beim Ersatz für eine verbrannte Bärin mit geklonten Tieren ein. In diese ernüchternd plausible Dystopie siedelt Jorge Comensal seine beiden zentralen Romanfiguren an, die einander bei der Suche nach Antworten der Vergangenheit begegnen. Während die junge Physikerin und Vollwaisin Karina neben beruflichen Verpflichtungen und Depressionen auch noch die Betreuung ihrer dementen, alkoholkranken Großmutter bewältigen muss, fristet Silverio als Friedhofswärter eine prekäre Existenz, zahlt Schutzgeld für seinen Bruder im Gefängnis und gelegentlich auch Alimente für seine Tochter Daenerys. Auf dem Friedhof von Chapultepec laufen die beiden Erzählstränge zusammen, als Karina die widersprüchlichen Umstände des Todes ihrer Eltern aufzuklären sucht.

Jorge Comensals Roman „Diese brennende Leere“ (2022 als „Este vacío que hierve“ erstveröffentlicht) ist eine Near-Future-Dystopie, die mit beißendem Humor und erzählerischer Wucht persönliche Kämpfe begleitet und gesellschaftliche, ökologische sowie spirituelle Herausforderungen als narrativen Brandbeschleuniger einsetzt: Die Klimakrise manifestiert sich in Naturkatastrophen, eklatantem Wassermangel und Artensterben, Roboter übernehmen Aufgaben der Sicherheitsdienste, das Andenken an die Toten gerät zur grotesken Maskerade. »Pastor Gonzalo hat gesagt, wegen der Hitzewelle werden sie allen von uns, die neu gerettete Seelen mitbringen, einen Ventilator schenken.« Dem spirituellen Führer seiner Mutter zufolge war der Klimawandel ein böser Vorgeschmack auf das künftige Höllenfeuer. Die Geretteten würden nicht unter der Hitze leiden. Halleluja Brüder, und alle antworteten »Halleluja«.
Aus allen Zeilen des Romans lugt die Entfremdung im kapitalistischen System hervor und doch trägt dieser letztlich nicht einen zynischen Abgesang vor, sondern lässt seine Protagonist_innen auf Etappen resonante zwischenmenschliche Beziehungen aufbauen, Strategien des Widerstands entwickeln und Handlungsfelder besetzen. Auf gut 400 Seiten füllt Comensal eine brennende Leere mit allmählich lodernder Hoffnung – da sage noch einmal jemand „Dystopie“!