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Russland gegen die Moderne


Eine "Spezialoperation" zur Unterdrückung der gesellschaftlichen Transformation

Cover des Buches
  • Buch
  • Etkind, Alexander
  • Transcript, 2025. - 174 Seiten

Die Sowjetunion verstand sich einst als führende Verfechterin der Moderne, mit radikaler Konsequenz wurde der Fortschritt beschleunigt und Transformation betrieben. Für diese besondere – eigentlich rückwärtsgewandte – Form der Moderne fand sich in der Zeitgeschichte wiederholt der Begriff der „Paläomoderne“, der rohstoffbasierte Entwicklungsmodelle, Klientelismus und autoritäre (Stände-)Herrschaft kenntlich macht: „Mit ihrem Bedarf an natürlichen Ressourcen wie fossilen Brennstoffen und Metallerzen fußte die Paläomoderne auf Ressourcenkolonisation, Siedlerimperialismus und Kriegskapitalismus.“ Das demokratische Gleichgewicht zwischen Staat und Zivilgesellschaft könne jedoch nur gelingen, wenn die Arbeitskraft der Bevölkerung volkswirtschaftliche Staatsgrundlage sei. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine erscheint für den russischen Kulturwissenschaftler Alexander Etkind (dzt. u.a. CEU University Vienna) insofern als Teil einer reaktionären Gegenoffensive gegen eine – teils noch utopische, teils im Werden begriffene – Moderne, die nachhaltig, demokratisch, digital und dezentral gekennzeichnet ist. Zuversichtlich verfasst der Autor seine Analysen im Präteritum, ist er doch vom Scheitern der Paläomoderne, des revanchistischen Putinismus und des konkreten Krieges selbst überzeugt, auch wenn eine konkrete Datierung schwerfalle. Sein kompakter Band (2023 im englischsprachigen Original erstveröffentlicht) umfasst acht Kapitel mit präzisen Diagnosen zu zusammenhängenden Dynamiken und Strukturen Russlands. Ambitioniert befasst er sich mit dem rentenökonomischen Petrostaat, Geschlechterverhältnissen, der Gerontokratie, medialer Öffentlichkeit, kleptokratischen Eliten und demokratischen Defiziten. Dabei zeigt er, wie die Spezialoperation auf ukrainischem Boden nichts weniger als eine Schlacht im „verheerende Feldzug gegen die Moderne“ ist, formuliert aber auch Perspektiven und Potenziale. Neben der Vorstellung einer „Gaia-Moderne“ äußert Etkind auch die Erwartung einer „Deföderierung“ Russlands, um revanchistischen Imperialismus und den Hegemon des russischen Nationalismus nach innen nachhaltig zu unterbinden.