Klimaänderung ; Neoliberalismus ; Migration ; Globalisierung ; Wohnungspolitik ; Stadtplanung ; Aufsatzsammlung
Zugang zu leistbarem, legalem und menschenwürdigem Wohnraum wird für viele Menschen in urbanen Gebieten zunehmend schwerer zu erreichen. Rasantes Bevölkerungswachstum, Immobilienspekulation, stagnierender Wohnbau und insbesondere die Abwesenheit politischer Interventionen seit den 1990er-Jahren werden als einige der Gründe in der Einleitung des vorliegenden Bandes genannt. Einen provokativen Input formuliert die brasilianische Architektin und Stadtplanerin Raquel Rolnik (von 2008 bis 2014 auch als UN Special Rapporteur on adequate housing tätig) in ihrem Vorwort: Sie sieht ein neues Kolonialreich auf dem Vormarsch, dass Territorien besetze und Städte umgestalte – das globale Finanzsystem kommodifiziere, privatisiere und finanzialisiere Wohnraum, spekuliere mit Leerstand und vertreibe sozial marginalisierte Gruppen durch verschiedene Praktiken (Räumung, Abriss, Gentrifizierung). Diese Entwicklung habe seit der Finanzkrise 2008 noch zusätzlich an Dynamik gewonnen, Rolnik verweist aber auch auf Widerstand und Proteste, die das „Right to the city“ auf der Straße einfordern. Wohnen ist als grundlegendes Menschenrecht verbrieft und auch als zentraler Aspekt der internationalen Entwicklung anerkannt, was sich etwa im ersten Unterziel des Sustainable Development Goal 11 „Sustainable cities and communities“ ablesen lässt: „By 2030, ensure access for all to adequate, safe and affordable housing and basic services and upgrade slums.“ Die globale Verwirklichung dieser Zielsetzung im Kontext nachhaltiger Entwicklung gestaltet sich jedoch komplex. Der Sammelband adressiert insofern Herausforderungen im Bereich des (v.a. urbanen) Wohnwesens, die sich vor dem Hintergrund globaler Transformationsdynamiken ergeben.
Dabei konzentrieren sich die Beitragenden auf drei wesentliche Bereiche, namentlich den globalisierten Neoliberalismus als hegemoniales Paradigma, Migrationsprozesse und den Klimawandel. Ein erster Beitrag beschäftigt sich etwa mit Housing Policies Indonesiens sowohl auf staatlicher als auf Gemeindeebene und deren Abhängigkeit von transnationalen Prozessen. Andere Beiträge interessieren sich für gegenseitige Hilfe, Selbstverwaltung und die Entwicklung von neuen Formen des Gemeinschaftsbesitzes als widerständische Praktiken gegen neoliberale Policies in Argentinien und Uruguay. Im Kontext von Migration beschäftigen sich Beiträge etwa mit dem Verhältnis chinesischer Wanderarbeiter_innen und ihrem Verhältnis zu ihren temporären Wohnorten, mit Landspekulation in der expandierenden Stadt Tarija (Bolivien) oder dem Wohnbedarf bengalesischer Arbeitsmigrant_innen im Oman. Die Auswirkungen des Klimawandels in Form von extremer Hitze und anderen Wetterphänomenen auf informelle Wohngebiete werden exemplarisch am Beispiel der Metropolregion Kairo analysiert. Anhand der Beispiele von einkommensschwachen Siedlungen in Medillín (Kolumbien) und Sao Paulo (Brasilien) wird abschließend aufgezeigt, dass die Erfolgsaussichten von Resilienzbildung und Risikominderung dort besonders hoch sind, wo lokale, gemeindebasierte Organisationen existieren, die Partnerschaften mit lokalen oder nationalen Verwaltungskörperschaften eingehen können. „Housing and Human Settlements in a World of Change“ adressiert resümierend ein zentrales Menschenrecht, dessen umfassende Verwirklichung eine globale Herausforderung darstellt. Der regionale Schwerpunkt liegt dabei auf dem Globalen Süden, den lokal unterschiedlichen Voraussetzungen und den fatalen Konsequenzen des entfesselten Kapitals. Dabei beschränken sich die Autor_innen jedoch nicht darauf, Vulnerabilität und politische Defizite herauszustellen, sondern bieten stets auch mögliche Antworten sowie Bewältigungspotenziale und akzentuieren Widerstand bzw. Handlungsfähigkeit der Wohnenden.