Soziale Bewegung ; Protest ; Medien ; Aufsatzsammlung
Protest stellt heutzutage ein allgegenwärtiges Phänomen dar, das längst nicht mehr auf organisierte soziale Bewegungen, politische Parteien bzw. Interessensvertretungen oder andere Kollektive angewiesen ist, sondern eine Erweiterung der Akteur_innen erfahren hat: Getragen werden kann Protest von Grassroot-Initiativen, Einzelpersonen, Künstler_innen oder Jugendbewegungen. Vor allem aber sind Protestaktionen zu Performances in einer globalisierten Öffentlichkeit geworden, die Dissens oder Unzufriedenheit artikulieren und für Veränderung eintreten. Die Entwicklung moderner Massenmedien und insbesondere die Digitalisierung haben diese Dynamik angestoßen und konventionelle Formen der Protestkommunikation fundamental verändert, zwischen Protestbewegungen und Medien haben sich Interdependenzen und gegenseitige Abhängigkeiten etabliert. Dieser Aspekt fand in der akademischen Forschungslandschaft zu sozialen Bewegung jedoch bislang wenig Beachtung und konstituiert eine Forschungslücke, die der vorliegende Sammelband umfassend zu schließen trachtet. Während soziale Bewegungen bzw. ihre Protestformen mehrheitlich mittels soziologischer oder politologischer Zugänge wissenschaftlich bearbeitet werden, wählen die Herausgeber_innen von „Protest Culture“ die Cultural Studies als geeignete Disziplin für ihr Forschungsvorhaben. Diese kulturwissenschaftliche Perspektive erlaube es, Protest als „form of contested communication“ zu fassen und solcherart kulturelle Aushandlungen, Kommunikationsstrategien, mediale Inszenierungen, Ästhetiken und Lifestyles vordergründig zu analysieren.
In einem ersten Abschnitt an Beiträgen erfolgt eine theoretische Einordnung des Forschungsgegenstands mit Systematisierungen und einer Vorstellung klassischer Definitionen von Protest sowie der in der einschlägigen Forschung aktiven Disziplinen. An dieser Stelle argumentiert etwa die italienische Politikwissenschaftlerin Donatella della Porta, dass Protest ein integraler Bestandteil sozialer Bewegungen sei und insbesondere auf indirekte Kanäle setze, um Entscheidungsträger_innen zu beeinflussen. Weiters streicht sie Konjunkturen von Protest hervor: „Protests come in chains, series, waves, cycles, and tides.“ Anschließend an die theoretischen Konzeptionen finden sich Beiträge zu konkreten kulturellen Phänomenen in unterschiedlichen Konstellationen gruppiert: So widmet sich eine Reihe an Beiträgen unter dem Titel „Morphologies of Protest: Constructing Reality“ verschiedenen Aspekten der Bedeutungskonstruktion, Protestnarrativen, Framingprozessen oder dem kulturellen Gedächtnis. Auf diesen Abschnitt folgen Aufsätze, die sich mit der Rolle unterschiedlicher Medien des Protests beschäftigen. Diesen liegt ein breites Verständnis von „Medien“ zugrunde, welches eine Auseinandersetzung nicht nur mit Massenmedien, sondern etwa auch mit Graffitis, Protestsongs oder dem Körper als „Protestmedium“ erlaubt. In einer Systematisierung möglicher Domänen (oder Arenen) des Protests werden anschließend die Öffentlichkeit, urbane öffentliche Räume, das Alltagsleben und das Internet in ihren wesentlichen Eigenarten skizziert. Die drei letzten Abschnitte widmen sich der Pragmatik von Protest und beschäftigen sich dabei etwa mit unterschiedlichen Praktiken, möglichen Reaktionen auf Protest (bspw. Repression oder Assimilation der Protestcodes) und Langzeitfolgen des Protests. Hier führen die Beitragenden etwa auf individueller Ebene biografische Konsequenzen für die Aktivist_innen an bzw. in gesellschaftlicher Dimension etwa die Veränderung von Geschlechterrollen, steigendes Bewusstsein für Konflikte und Political Correctness an. In dieser Zusammenstellung gelingt es „Protest Cultures“, etablierte Zugänge auf soziale Bewegungen um Perspektiven auf kulturelle Ästhetiken, Strategien, Logiken und Habitus des Protests zu erweitern.