Politische Bewegung ; Protest ; Protestbewegung
Zusammenfassung: Ein „Vademecum“ nennt der Soziologe Armin Nassehi sein Buch „Das große Nein“. Zwar argumentiert er die Relevanz seiner Überlegungen mit einer Renaissance der Protestbewegungen und nennt in diesem Zusammenhang etwa die Gelbwestenbewegung, die Arabellion, Klimaproteste oder Pegida, sein Interesse gilt jedoch explizit weder konkreten Protestbewegungen, noch der historischen Rekonstruktion derselben. Nassehis Anspruch ist es, eine Phänomenologie von Protest (hierbei verstanden als die "womöglich sichtbarste Form von Kritik") darzustellen, Funktionalitäten zu benennen und nach den Entstehungsbedingungen zu fragen. In einer Zusammenstellung von zehn Essays beschäftigt sich der Autor folglich mit unterschiedlichen Aspekten wie der Rolle von Protest als Themengenerator, der Ausweitung von Sprecher_innen-Positionen durch die Digitalisierung („Protest im Netz“) oder der Steigerungslogik von Protest. Letztere umfasse nicht nur eine „Art semantischer Aufrüstung“, sondern bedinge auch bisweilen eine „Attraktivität von Gewalt“, die darin begründet liegt, dass Gewalt im Gegensatz zu friedlichem Protest unmittelbare Resultat hervorrufen könne. Des weiteren adressiert Nassehi Dilemmata und Paradoxien des Protests, etwa eine Ambivalenz aus Demokratieförderung und Gefährdung derselben. Das Niedrigschwellige, Spontane und Unkonventionelle an Protest sei wiederum sowohl größte Stärke als Schwäche zugleich: „Diese große Stärke – das Fluide, das Niedrigschwellige und Bewegungsförmige – des Protestierens ist zugleich seine größte Schwäche und Gefahr.“ Eine der größten Herausforderungen für Protestformen sei es insofern, sich gegen den Zerfall zu schützen und ihre Dynamik zu kontinuieren. Nassehi legt mit „Das große Nein“ eine Phänomenologie des Protests vor, die Produktionsbedingungen, Mechanismen und Dynamiken skizziert und hierfür auf unterschiedliche Klassiker soziologischer Theoriebildung wie Niklas Luhmann, Max Weber oder Jürgen Habermas zurückgreift. Seine „Denkbemühung“ will Nassehi abschließend nicht als politische Protestform verstanden wissen: „Sie ist eher eine Soziologie des Politischen, als politische Soziologie.“