Cover des Buches

Kirst, Sarah
Umkämpfter Zugang zu Land
Land grabbing, Konflikte und die Rolle traditioneller Autoritäten in Ghana
Bielefeld: Transcript, 2022. - 281 S.
ISBN 9783837659481

ÖFSE-Signatur:

28172 / E-Book

Landnahme ; Konflikt ; Ghana ; Konfliktforschung

Globale Nahrungsmittel-, Rohstoff- und Finanzkrisen in Verschränkung mit dem Klimawandel haben seit den 2000er-Jahren die Nachfrage nach Land als Ressource für Landwirtschaft, Mineralienabbau, Agrotreibstoffe oder Kapitalanlagen befeuert. Ein im Zuge dieser Entwicklung verschärftes Phänomen ist das Landgrabbing als großflächige Aneignung von Ackerland durch (häufig multinationale) Akteur_innen, mit dem eine Inwertsetzung der Ressource intendiert ist und die meist eine Verlagerung weg von kleinbäuerlichen, subsistenzorientierten Strukturen hin zur Agrarindustrie bedeutet. Der Begriff des Landgrabbing akzentuiert im Unterschied zu synonym verwendeten Ausdrücken die durch den Transaktionsprozess veränderten Kontrollverhältnisse. An diesen setzt Sarah Kirsts Dissertation an, in der sie sich mit Konflikten rund um Landgrabbing in Ghana beschäftigt und dabei insbesondere die Rolle traditioneller Autoritäten als Konfliktakteur_innen: Sie treten in rechtspluralistischen Systemen häufig als treuhänderische Verwalter_innen von ländlichen Commons auf und stellen somit die Verhandlungspartner__innen von potenziellen Investor_innen dar. In den vergangenen Jahrzehnten erfuhren Akteur_innen traditionaler Herrschaft vor allem als Kooperationspartner_innen von Geberorganisationen und der internationalen Gemeinschaft einen Bedeutungsgewinn, der sich u.a. durch Kritik an staatlichen Defiziten als auch entlang einer verstärkt partizipatorischen Konzeption der Entwicklungspolitik erklären lässt. Kirst setzt sich nun mit dem Zusammenhang zwischen dem Handeln von Autoritäten traditioneller Herrschaft und Konflikten um den Zugang zur Ressource Land im Kontext des Landgrabbing auseinander. Ihre empirische Studie stützt sich dabei auf drei Feldforschungsaufenthalte, im Zuge derer sie Interviews sowie Gruppendiskussionen mit Mitarbeiter_innen von Behörden, NGOs und Unternehmen, Landnutzer_innen und traditionellen Autoritäten durchführte. Untersucht werden zwei konkrete Fallbeispiele von Landvergabe an norwegische Investmentfirmen (ScanFarm in der Region Ashanti; BioFuel Africa in Northern Ghana), wobei traditionelle Autoritäten in den Konflikten jeweils sowohl Verhandlungspartner_innen waren, als auch die Gemeinschaft vertraten und den Konflikt zu schlichten versuchten. Ein u.a. von der Politischen Ökologie und Steven Lukes‘ dreidimensionaler Machttheorie inspirierter Zugang ermöglicht es Kirst, unterschiedliche Machtformen, Aushandlungsprozesse, Handlungsstrategien und Ungleichheiten im Zugang zu Land herauszuarbeiten. Dabei veranschaulicht sie auch Charakteristika traditioneller Landverwaltungssysteme wie die Informalität der Institutionen: „Regeln und Verfahrensweisen sind nicht verschriftlicht und treten nicht über »offizielle« staatliche Wege in Kraft. Sie erlangen ihre Geltung durch Autolizenzierung und hängen in ihrem Fortbestand von ihrer faktischen Anerkennung ab.“ Von besonderer Relevanz für die untersuchten Konflikte bzw. deren Verlauf stellten sich insofern versteckte und unsichtbare Formen der Macht heraus: „Über ihre Einflussnahme auf institutionelle Verfahrensweisen, deren Neuinterpretation oder die Verfügungsgewalt über Informationen konnten ranghohe traditionelle Autoritäten de facto alleinige Kontrolle über den Zugang zu Land erlangen und diese im Rahmen der Landvergabe - entgegen den Interessen der Landnutzer*innen – an die Unternehmen übertragen. Unsichtbare Macht trägt ihrerseits zur Festigung versteckter Macht bei: die Anerkennung traditioneller Autoritäten durch die ihnen untergebenen Mitglieder der Gemeinschaft legitimiert ihr Handeln und verhindert Widerstand. (…) Dank ihrer unsichtbaren Macht können traditionelle Autoritäten entgegen der Interessen ihrer Gemeinschaft handeln, ohne dass ein manifester Konflikt entsteht.“ Offenen Widerstand übten somit vorrangig jene Konfliktakteur_innen aus, die ihre Landnutzungsrechte nicht über traditionelle Autoritäten erlangt hatten bzw. nicht in einem sonstigen Abhängigkeitsverhältnis zu diesen standen.

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