Kinderrechte ; Lateinamerika ; Globaler Süden
Kinderrechte formulieren einen universalistischen Anspruch: Sie sollen für alle Kinder gelten. Doch sind diese Rechte eindeutig? Und bedeuten sie für alle Betroffenen dasselbe? Der Kinderrechtsforscher Manfred Liebel erkennt die Gefahr einer „Mystifizierung“ der Kinderrechte und hiervon ausgehend einige Dilemmata und Widersprüchlichkeiten, denn asymmetrische Machtverhältnisse und unterschiedliche Lebensrealitäten werden in der „objektiven“ Lesart von Kinderrechten ausgeblendet: „Kinderrechte entstehen und existieren nicht in einem ahistorischen und gesellschaftsfernen Raum. Ihr Anspruch auf universelle Gültigkeit trifft auf eine Welt, die von großen Machtgefällen und kultureller Vielfalt geprägt ist. Deshalb reicht es nicht aus, die Rechte anzuwenden, sondern sie müssen so „übersetzt“ werden, dass sie mit den spezifischen Lebensumständen und Erfahrungen der Kinder vor Ort vereinbar sind.“ Liebel schlägt anstelle einer rein legalistischen oder etatistischen Auslegung ein Konzept von Kinderrechten vor, das auf die Subjektivität seiner Akteur_innen setzt, Rechte nicht als abgeschlossenen Kodex begreift, sondern Notwendigkeiten der Aushandlung und Weiterentwicklung betont. Der vorliegende Band formuliert insofern Ausgangslagen, Ansätze sowie Potenziale einer kritischen Kinderrechtsforschung und ist in zwei Abschnitte geteilt. Der erste befasst sich mit grundlegenden Fragen und der Konzeptualisierung von Kinderrechten als Gegenrechte bzw. „Kinderrechte von unten“. Im Zentrum stehen dabei Kinder als die jeweiligen Akteur_innen ihrer Rechte und in ihrem Lebenszusammenhang mit anderen Menschen. Der zweite Abschnitt umreißt die Disziplin der kritischen Kinderrechtsforschung in ihrem Entstehungszusammenhang, ihren Interessen und Zugängen. Diskutiert werden etwa ethische Fragen der Kinderrechtsforschung (wie Adultismus, ungleiche Machtpositionen von Forschenden und „Beforschten“ oder Kolonialität der Forschung), auch Leerstellen der Kinderrechtsforschung (Arbeits- und Wirtschaftsrechte, Kinderwahlrechte oder intergenerationelle Gerechtigkeit) analysiert Liebel. Wurden die einzelnen Beiträge des Bandes eigentlich für andere Anlässe verfasst, so fügen sie sich hier doch nahtlos zu einer umfassenden Darstellung von emanzipatorischen Kinderrechten und progressiver Kinderrechtsforschung.