Ölkrise ; Geopolitik ; Nord-Süd-Beziehungen ; Weltwirtschaftsordnung
Die Ölkrisen 1970er-Jahre sind bislang hauptsächlich aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive (hier v.a. mit Fokus auf die von den Preisanstiegen betroffenen Länder des Globalen Nordens) oder allenfalls unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit betrachtet worden. Geschichtswissenschaftliche Auseinandersetzungen mit der Thematik finden sich nur fallweise, insbesondere für die Länder des Globalen Südens sei eine deutliche Leerstelle zu erkennen, leitet der Historiker Jonas Kreienbaum seine Habilitationsschrift ein. Er beschäftigt sich im vorliegenden Band mit den Wechselwirkungen der beiden Ölkrisen und der Nord-Süd-Beziehungen, dabei fokussiert er insbesondere auf vom Globalen Süden erhobenen Forderungen nach einer Neuen Weltwirtschaftsordnung. Nach einem einleitenden Überblick über die Nord-Süd-Beziehungen seit dem Zweiten Weltkrieg und zentralen Entwicklungen wie die Dekolonisierung oder die Bildung von Allianzen postkolonialer Staaten setzt der eigentliche Untersuchungszeitraum ein. Kreienbaum skizziert die Folgen der ersten Ölkrise für die reichen Industrieländer, sowie Exportländer fossiler Rohstoffe und rohstoffarme Länder des Globalen Südens – eine im späteren Ablauf bedeutsame Differenzierung. Vor dem Hintergrund der Ölabhängigkeit des Globalen Nordens gelang es dem Globalen Süden zunächst, das Programm einer gerecht und auf Augenhöhe gestalteten Neuen Weltwirtschaftsordnung auf die internationale Agenda zu setzen: „Die Dritte Welt schien plötzlich über Verhandlungsmittel zu verfügen, die den Westen an den Verhandlungstisch zwingen konnten.“
Insbesondere am Beispiel Sambias (kein Öl-Exportland) zeigt Kreienbaum auf, wie unterschiedlich die Länder des Globalen Südens von der Ölkrise und den gestiegenen Preisen profitierten und sich ungleiche Entwicklungschancen dadurch verstärkten. In der Folge erodierte die anfängliche Solidarität unter den Ländern des Globalen Südens, die große Allianz für eine Neue Weltwirtschaftsordnung bröckelte und verlor spätestens mit der zweiten Ölkrise an Bedeutung. Im Zuge der Globalisierung konsolidierte sich der bis heute vorherrschende Kapitalismus neoliberalen Zuschnitts. Auf Basis umfangreicher Archivrecherchen und Primärquellen illustriert Kreienbaum heterogene und komplexe Verhältnisse von Nord und Süd, befasst sich mit Akteur_innen und deren Strategien. Die behandelten Themen und zeitgeschichtlichen Konstellationen wirken dabei unangenehm bekannt: Energiekrise, ungleiche globale Machtverhältnisse und Pattstellungen auf dem internationalen Parkett ermöglichen es Kreienbaum, „auch eine Vorgeschichte der Gegenwart“ zu erzählen, wenngleich es sich aktuell nicht unbedingt um ein Abbild der 1970er-Jahre handle: „Während das Schlagwort der Neuen Weltwirtschaftsordnung heute als vollkommen vergessen ist, sind die Problemlagen, die sie beheben sollte, und die Debatten, die in ihrem Namen geführt wurden, offensichtlich weiterhin von großer Aktualität.“