Afrikanischer Einwanderer ; Österreich ; Gemeinschaft ; Aufsatzsammlung
Der Historiker Walter Sauer adressiert mit „Jenseits von Soliman“ eine bislang wenig bearbeitete Forschungslücke, nämlich afrikanische Migration, Diaspora und Communities im österreichischen Raum. Die geringe Auseinandersetzung mit der Thematik führt er dabei u.a. auf die Leugnung kolonialer Verstrickungen und Kontinuitäten, Rassismen und Marginalisierung im Wissenschaftsbetrieb zurück: „Einschlägige Fragestellungen sind im Forschungskanon nicht oder nicht ausreichend verankert, sie fehlen schon in der Ausbildung, erfließen nicht aus den wechselnden Konjunkturen der Wissenschaft, sind wenig karrierefördernd und werden finanziell kaum unterstützt. Diese Ausblendung von Rassismus und kolonialer Involvierung dient bestimmten Interessen, die von der Aufrechterhaltung eines monarchistischen Geschichtsbildes über die Legitimierung des epistemologischen Suprematieanspruchs Europas bis zur unkritischen Akzeptanz einer »imperialen Lebensweise« (Ulrich Brand – Markus Wissen) reichen können.“ Erst in den letzten Jahren habe etwa durch die Diskurse um museale Repräsentation, Raubkunst und Restitution sowie im Zuge der #BlackLivesMatter-Bewegung die gesellschaftliche Dynamik etwas an Fahrt aufgenommen. Abgesehen von einzelnen wenigen Beispielen – hier nennt Sauer die starke Rezeptionstradition des im höfischen Wien des 18. Jahrhunderts prominenten Angelo Soliman – sei jedoch nach wie vor eine „Unsichtbarkeit schwarzer österreichischer Geschichte“ zu konstatieren. „Jenseits von Soliman“ leistet insofern einen Beitrag zur Sichtbarmachung von Afrikaner_innen sowie People of Color in der österreichischen Geschichte. Dabei ist der Band chronologisch aufgebaut und spürt mikrobiografisch, aber stets mit Bewusstsein für exemplarische Signifikanz und die jeweiligen (gesellschafts)politische Kontexte der gewählten Beispiele, der Präsenz von Afrikaner_innen auf österreichischem Gebiet nach. Der behandelte Zeitraum umfasst dabei etwa zwei Jahrtausende und reicht von der römischen Provinz Noricum über Mittelalter, Frühe Neuzeit, Wiener Kongress, Zwischenkriegszeit und NS-Herrschaft bis in die Zweite Republik. Auf Basis umfangreicher Quellenrecherchen erzählt Sauer etwa von römischen Statthaltern, Zwangsarbeit in KZs, Kolonialsoldaten und Besatzungskindern nach 1945, der Partizipation habsburgischer Länder an Versklavung sowie der Entwicklung von Nischenmigration in der Zweiten Republik (Studium, Zeitungskolportage, Diplomatie) zu Asylmigration. Ein Beitrag der Historikerin Vanessa Spanbauer zu zweiten Generationen afrikanischer Communities rundet den Band ab, in dem sie u.a. zentrale Momente deren Politisierung herausstreicht und Unterschiede zu ersten Generationen herausarbeitet: „Die afrikanische Diaspora hat die Vertretung ihrer Interessen in den letzten Jahren zunehmend selbst in die Hand genommen. Die Erste Generation konzentrierte sich oftmals auf politisches Engagement in Bezug auf die Heimatländer, die Zweite Generation nimmt auch die österreichische politische Landschaft in den Blick.“ Insgesamt gelingt „Jenseits von Soliman“ eine anschauliche Darstellung afrikanischer Geschichte Österreichs, die strukturelle Diskriminierung, Exotisierung und Rassismen nicht ausspart und biografische Konstellationen zur Problematisierung und Bewusstseinsschaffung nutzt.