Iran ; Deutschland ; Politische Elite
Nicht selten wird das Jahr 1945 in Österreich und Deutschland als die „Stunde Null“ bezeichnet, mit der eine radikale Zäsur und Abkehr von der jüngeren faschistischen Vergangenheit postuliert wird. Personelle, gesellschaftliche und politische Kontinuitäten in den Nachfolgestaaten des Dritten Reichs legen jedoch vielmehr den Schluss nahe, dass der Bruch mit dem NS-Regime in der Nachkriegszeit keineswegs so deutlich erfolgt ist. Harald Möller befasst sich in seiner Studie mit Elitekontinuitäten in der Bundesrepublik Deutschland anhand des Auswärtigen Amts, der Bundeswehr und des Deutschen Atomforums. Das Einstiegsbeispiel Friedrich Karl Vialon, Staatssekretär und zentrale Figur beim Aufbau des deutschen Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ), verdeutlicht dabei bereits die Widersprüchlichkeiten der Nachkriegszeit und zeigt auf, dass vermeintlich unvereinbare Positionen wie der koloniale Revisionismus der NS-Zeit und das neue, antikoloniale Selbstverständnis der Bundesrepublik mitunter durchaus unter einen Hut zu bringen waren. Vialon blieb dabei kein singuläres Phänomen: Insbesondere auf der zweiten und dritten Ebene der Hierarchie fanden sich häufig Männer wieder, die bereits in der NS-Verwaltung Karriere gemacht hatten und nun mit Umsetzung der neuen Politik betraut waren. Besonderes Augenmerk widmet Möller den Beziehungen der jungen Bundesrepublik zu ausgewählten Staaten des Globalen Südens (Südafrika, China, Iran) und bearbeitet dabei die Fragestellung, ob und wie sich die (personelle) Elitenkontinuität in der deutschen Außenpolitik manifestierte. Der vorliegende zweite Band von Möllers Forschungsprojekt zur bundesdeutschen Elitenkontinuität befasst sich schwerpunktmäßig mit den Beziehungen zum Iran. Die deutschen Interessen bezogen sich dabei vor allem auf die Erdölressourcen und iranische Aufträge an deutsche Industrie- und Rüstungsunternehmen. Hieraus resultierend identifiziert Möller zwei Phasen der Intensivierung deutsch-iranischer Beziehungen im militärischen und wirtschaftlichen Bereich, konkret 1935-1941 und zwischen 1961 und dem Jahr 1979, als auf der Konferenz von Guadeloupe u.a. die bundesdeutsche Regierung dem Schah nach langen Protesten die Unterstützung entzog. Angesichts der über das Jahr 1945 weit hinausgehenden personellen Kontinuitäten ehemals nationalsozialistischer Funktionäre in der deutschen Außenpolitik schlägt Möller vor, den Bruch mit dem Nationalsozialismus zwar 1945 beginnen zu sehen, den tatsächlichen Vollzug jedoch erst in Folge der Ereignisse des Jahres 1968 zu erkennen, als die Nachkriegsgesellschaft zunehmend von sozialen, studentischen Bewegungen mit ihrer Geschichte konfrontiert wurde.