Jerusalem ; Sechstagekrieg ; Belletristik
Ron Segals Roman setzt im Juni 1967 kurz nach Ende des Sechstage-Krieges ein, die Stadt Jerusalem kehrt zu betriebsamer Geschäftigkeit zurück und zehrt von euphorischer Hochstimmung: Der kurze Krieg hatte weitreichende Folgen und bedeutete für Israel große Gebietsgewinne, im Fall der Hauptstadt etwa der Altstadt, Ostjerusalems und des Flughafens. Erstmals in der Geschichte des jungen Staates wurde Jüd_innen dadurch der Zugang zur Klagemauer möglich. Dieser historischen Zäsur stellt der Autor als erste Szene eine urbane Banalität gegenüber, es staut sich an der Ampel: „Wir schreiben das Jahr 1967, wenige Tage nach dem Ende der Kämpfe in Khan Yunis im südlichen Gazastreifen. Die Jerusalemer Autofahrer hatte man gerade eben erst aus den Luken und Gefechtstürmen glutofenheißer Panzer geholt. Die nüchternen Verkehrsregeln aber konnten den Kampfgeist, der noch in ihren Adern pulsierte, kaum im Zaum halten. Grün hieß für sie »Auf-zum-Sturmangriff!« Und Rot – ein grausamer Feind. Umso mehr, wenn ein kleiner Kater für die Verzögerung sorgte.“ Aus schlechtem Gewissen adoptiert der Mopedkurier Eli den Kater, nachdem er diesen unglücklich angefahren hat – und die Ereignisse nehmen ihren Lauf. Seltsame Dinge ereignen sich rund um den Abel getauften Kater, Eli wird mit immer zwielichtigeren Botendiensten beauftragt und gerät zwischen Fronten. All dies ereignet sich in einer Stadt, die zunehmend von Streuerkatzen übernommen wird, von Sprengstoffanschlägen erschüttert wird und zwischen deren Fassaden der eben erst zu Ende gegangene Krieg für Dreharbeiten täuschend echt nachgestellt wird: „Auf dem Weg zum Einkaufsladen kam er an einigen Soldaten vorüber, die gerade von den Aufnahmen der nachgestellten Kämpfe in der Altstadt zurückkehrten. Noch nie hatte er so gutgelaunte Leichen gesehen. In ausgelassener Stimmung marschierten sie blutüberströmt und notdürftig verbunden durch die Fußgängerzone und ließen sich bereitwillig mit einem Vater und seinem Sohn auf einem gepanzerten Truppentransporter fotografieren, der außer Gefecht wie zur Straßenskulptur erstarrt vor dem Eingang zur italienischen Synagoge stand.“ In einer kompakten und unterhaltsamen Erzählung verbindet Segal surreale Motive mit der präzisen und dichten Darstellung der Atmosphäre im Jerusalem 1967. „Katzenmusik“, für das der in Berlin lebende Segal das Alfred Döblin-Stipendium erhielt, nimmt dabei phasenweise Anleihen an der Fabeldichtung, ohne allerdings eine universale Moral zu postulieren. Gleichzeitig nutzt Segal Versatzstücke des Hardboiled-Agententhrillers und lässt seinen Protagonisten durch instabile politische Verhältnisse stolpern. Gekonnt überschreitet „Katzenmusik“ Genregrenzen und erzählt im Kleinen von großen geopolitischen Verwerfungen.