Ruanda ; Tutsi ; Völkermord in Ruanda ; Belletristische Darstellung
„Wenn ich sterbe, wenn ihr seht, dass ich tot bin, müsst ihr meinen Körper bedecken. Niemand darf meinen Körper sehen, den Körper einer Mutter darf man nicht den Blicken preisgeben. Ihr, meine Töchter, müsst ihn bedecken, es ist allein eure Aufgabe.“ Scholastique Mukasongas Prolog schildert prägende Erinnerungen der Tochter an nachdrückliche Bitten ihrer Mutter und einem Versprechen, dem sie letztlich nicht nachkommen konnte. Die Autorin floh in den 1970er-Jahren aus Ruanda ins burundische Exil und später nach Frankreich, ihre Mutter Stefania wurde wie 36 weitere Familienmitglieder im Zuge des Genozids an Tutsis 1994 ermordet: „Mama, ich war nicht da, um deinen Körper zu bedecken, und ich habe nur Worte – Worte einer Sprache, die du nicht verstanden hast -, um zu tun, worum du gebeten hattest. Und ich bin allein mit meinen schwachen Worten, und auf den Seiten meines Buchs weben meine Sätze, wieder und wieder, das Leichentuch für deinen verlorenen Körper.“ Keineswegs sind es schwache Worte, mit denen die Autorin ihre Hommage auf eine kraftvolle Frau und die Kultur der Tutsi entwirft – präzise und liebevoll erzählt Scholastique Mukasonga von mütterlicher Fürsorge, kleinbäuerlichen Alltagsmühen und dem gewitzten Umgang mit gesellschaftlichen Konventionen. Ebenso präsent sind jedoch auch gewaltvolle Erfahrungen wie die Vertreibung in den kargen Süden Ruandas, die ständig spürbare Angst vor Übergriffen durch das Militär, Vergewaltigungen oder Nachwehen des Kolonialismus. Scholastique Mukasonga gibt den Leidtragenden des Konflikts eine Stimme, akzentuiert dabei aber vor allem deren Kraft, Überlebenswillen und Widerstand mit scheinbar kleinen Akten. In zehn kurzen, in sich abgeschlossenen Episoden erzählt die ehemals für UNICEF und Weltbank tätige Autorin von Traditionen wie Fortschritt gleichermaßen, stellt Gewalterfahrungen gemeinschaftliche Gesten der Solidarität sowie Resilienz gegenüber und benennt intergenerationelle Traumata. Insofern ist „Frau auf bloßen Füßen“ nicht nur eine Hommage an die eigene Mutter, sondern zollt Generationen an Frauen Tribut, die der Verzweiflung trotzen und in Menschlichkeit Widerstand leisten: „Ruanda ist heute das Land der Mütter Courage.“